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«Fidel Castro und seine Erben»

#VERSCHIEDENES #ZIGARREN 5. August 2006

Der bisherige Verlauf der jüngsten Geschichte Kubas ist in Form von Links auf weiterführende Information im Posting «Das andere Kuba & Castro Updates» festgehalten. Heute bringt die Neue Zürcher Zeitung NZZ einen ausgezeichneten Kommentar unter «Fidel Castro und seine Erben«. Der Artikel ist nachfolgend («weiter») zu finden.

Die Welt beleuchtet einen anderen Aspekt der Entwicklung unter «Havanna-Anleihen feiern Comeback an den Börsen«.

Die Zeit publizierte einen Stimmungsbericht unter «Trauriger Salsa«.

Viele weitere Artikel – unter anderem über das jüngste verbale Engagement von Condoleezza Rice – sind bei Google News zusammengefasst.

Update vom 6. August:
Während die Offiziellen Kubas eine kolportierte Krebserkrankung Castros verneinen, rechnet The Independent (Cigars at the ready as US warms to Cuba) vor, dass beim Wegfallen des Embargos die USA grösster Markt für Havannas werden würde – und Branchenprimus Altadis den Umsatz schlichtweg verdoppeln könnte:

The Spanish-French tobacco giant Altadis, which owns a controlling stake in Habanos, the marketing and exporting arm of Cuba’s state-owned cigar business, is one of a bevy of major foreign companies set to reap billions if the 45-year US trade embargo is lifted. Robbert Van Batenburg of Louis Capital Markets, a New York brokerage, estimates that Altadis could double its earnings before costs if the US, the world’s largest cigar market, were opened to Cuba. Altadis, whose shares ended the week up more than 2 per cent, declined to comment.
Ob da nicht ein Rechnungsfehler bezüglich der Menge an zur Verfügung stehendem Tabak gemacht wird?

Update vom 7. August:
Während Venezuelas Präsident Hugo Chavez heute erklärte, dass Fidel Castro schon nicht mehr bettlägerig sei, bringt Spiegel Online den sehr lesenswerten Essay «Der gute Stern des Tyrannen» von Jorge Edwards, ehemaliger chilenischer Gesandter in Havanna.
Fidel Castro und seine Erben (NZZ vom 5. August 2006)

Dass auch der kubanische Staatschef menschlich und sterblich ist, gelangte am 23. Juni 2001 schlagartig ins Bewusstsein seiner Untertanen. Während einer Rede in Havannas Vorort Cotorro hatte sich Fidel Castro, in voller Uniform unter einer brütenden Sonne stehend, vor über 60 000 Zuhörern und laufenden Kameras zwei Stunden lang in Rage geredet, dann brach seine Stimme plötzlich, er geriet ins Stocken, sackte nach vorne. Einer der Ersten, die aufsprangen und Castro zu Hilfe eilten, war sein Sohn Antonio, ein ausgebildeter Sportarzt. Und der Erste, der den Schreck überwand und geistesgegenwärtig das Mikrofon ergriff, war Aussenminister Felipe Pérez Roque. Der junge ehrgeizige Günstling Castros mahnte das konsternierte Publikum zur Ruhe und schloss mit einem programmatischen Losungswort: «Viva Fidel! Viva Raúl!» – auf dass kein Zweifel bestehe, wer nach dem Máximo Líder lang zu leben habe.

Die Feiern der exilierten Anticastristen in Florida waren damals so verfrüht wie am letzten Montagabend, als bekannt wurde, dass sich der kubanische Revolutionsführer von einer komplizierten Darmoperation erholte und die Amtsgeschäfte seinem Bruder Raúl übergeben hatte. Die Bestürzung in Kuba selbst über den Ausfall der übermächtigen Vaterfigur schien sich in Grenzen zu halten. Denn seit jener kurzen Ohnmacht im Juni 2001 waren die Endlichkeit von Castros Herrschaft, die Möglichkeit eines Ablebens des Diktators präsenter gewesen als je zuvor. Das Thema der Nachfolgeregelung hörte auf, ein Tabu zu sein, und die Anzeichen häuften sich, dass auch auf der obersten Ebene der Staatsspitze intensiver darüber nachgedacht wurde.

EINE STÜTZE DES REGIMES

Das Ende von Castros Regime, ob erzwungen oder aus naturgegebenen Gründen, ist seit Jahrzehnten ein beliebtes Thema. Besonders wild waren die Spekulationen, nachdem die sowjetische Hilfe Anfang der neunziger Jahre ausgefallen war. Mancher Kolumnist und Analytiker erklärte damals bereits die letzten Stunden Castros für angebrochen. Sie irrten sich und unterschätzten ihn alle. Das Land geriet zwar in eine äusserst schwere Versorgungskrise, doch der kubanischen Revolution ging auch in der «Spezialperiode in Zeiten des Friedens», die das Ausbleiben der Unterstützung aus Moskau bewirkte, der Schnauf nicht aus. Das Regime hiess seine Untertanen den Gürtel enger schnallen und hielt sich – wie schon all die Jahre zuvor – am äusseren Feind schadlos, dem «Imperium» im Norden. Hätte Washington damals das Embargo gegen die Karibikinsel aufgegeben, wären deren autoritäre Herrscher in arge Bedrängnis geraten.

All die Jahre bestand freilich kein Zweifel, wer Fidels Erbe antreten würde. Laut der Verfassung von 1992 war es der Vizepräsident, und dieser war schon damals Raúl Castro. Er betritt nun die politische Bühne, als sei seine Machtübernahme eine Art Hauptprobe zu Lebzeiten des grossen Diktators. Ob er tatsächlich eine zu schwache und unbeliebte Figur sei, kein Charisma habe und die Massen nicht fesseln könne, wird sich erst weisen, wenn er aus dem Schatten seines Bruders tritt. Es darf jedenfalls nicht übersehen werden, dass er bisher als Verteidigungsminister einiges dazu beigetragen hat, das Regime am Leben zu erhalten. Laut Experten ist die Armee sogar die einzige Institution im kubanischen Staat, die wirklich funktioniert und effizient ist. Es war auch Raúl Castro, der ihr die Expansion in wichtige Wirtschaftszweige und staatliche Unternehmen – und damit verbunden manche Privilegien – zuhielt. Auf sie kann sich der amtierende Staatschef ebenso verlassen wie auf die umstrukturierte und gestärkte Kommunistische Partei, der er nun als Erster Sekretär vorsteht und die er kürzlich als «würdige Erbin» des Revolutionsführers bezeichnet hat.

Das sind nicht die schlechtesten Voraussetzungen, um eine autoritäre Konsolidierung einzuleiten. Wirtschaftliche Reformen sind unter Raúl Castro vielleicht nicht ausgeschlossen; denn dass die Armut und die materiellen Bedürfnisse der Bevölkerung auf die Dauer nicht ignoriert werden können, scheint der Führungsriege um Fidels Bruder bewusst zu sein. Politische Änderungen jedoch, die die sture ideologische Regression der letzten Jahre wieder rückgängig machen, sind kaum zu erwarten. Der in der Verfassung nach Massgabe der Brüder Castro 2002 als «unwiderruflich» festgeschriebene Sozialismus erlaubt es wohl kaum, Andersdenkende aus den Gefängnissen zu entlassen, Kritiker nicht mehr als Feinde zu betrachten und die totalitäre Kontrolle über die Bürger zu lockern. Repression wird einstweilen in Kuba ein Mittel der Machterhaltung bleiben.

EINE BESONDERE BEZIEHUNG

Neben Raúl Castro und der Kommunistischen Partei gibt es indes noch einen anderen «Erben», der für ein Kuba des Übergangs eine wichtige Rolle spielen wird. Hugo Chávez springt seit seiner Wahl zum Präsidenten Venezuelas mit billigem Erdöl und harter Währung in Kuba dort ein, wo die Sowjets grosse Lücken hinterlassen hatten. Letztlich trug die venezolanische Bruderhilfe massgeblich zu einem neuen wirtschaftlichen Wachstum auf der Zuckerinsel bei und dazu, dass sich nach der harten «Spezialperiode in Friedenszeiten» ein etwas rosigerer Horizont abzeichnete. Grundlage für diese Partnerschaft sind aber nicht primär ideologische Übereinstimmungen, sondern starke emotionale Bande; Chávez bewundert den greisen Inseldespoten nahezu abgöttisch, und diesem wiederum ist der Venezolaner für die eigenen Interessen äusserst nützlich. Die Biografien der beiden weisen eine Reihe verbindender Gemeinsamkeiten auf, von einem gescheiterten Putschversuch über eine Gefängnisstrafe bis hin zur Leidenschaft für Baseball. Sie haben zwar nicht dieselben Helden – José Martí hier, Simón Bolívar dort -, gewiss aber denselben Feind, die USA. Und sie teilen die Vorliebe, diesen zu provozieren.

Chávez hat dank hohen Erdölpreisen Mittel, die sich als effizienter erweisen als Castros rhetorische Überzeugungskraft, um den Sozialismus in die Welt zu tragen und gegen die Vereinigten Staaten zu sticheln. Er kauft sich Loyalitäten nicht nur in Bolivien oder Argentinien, sondern beispielsweise mit einem milliardenschweren Waffenhandel auch in Russland. Er pflegt ausserdem gezielt Freundschaften, die gegenwärtig international nicht gerade salonfähig sind, wie etwa jene zum iranischen Präsidenten Ahmadinejad. Deutlich ist dabei allerdings, dass in der speziellen persönlichen Beziehung zwischen ihm und Fidel Castro ein Dritter schwerlich Platz hat. Die Bemerkung einer zentralen Figur im Staatsapparat, Carlos Lage, wonach Kuba nun zwei Präsidenten habe, nämlich Fidel und Chávez, dürfte Raúl Castro nicht sonderlich goutiert haben. Gelingt es ihm nicht, diese Partnerschaft aufrechtzuerhalten, riskiert er eine Reduktion der wirtschaftlichen Unterstützung, auf die er zur Erhaltung seiner Macht weit mehr angewiesen sein dürfte, als sein Bruder es je war.

Sicher ist jedoch, dass Chávez, jünger an Jahren und reich an Erdölgeld, das ideologische Erbe Fidel Castros besser verwalten dürfte als dessen Nachfolger im kubanischen Staatsapparat. Pérez Roque fügte im Juni 2001 seinem «Viva Fidel! Viva Raúl» zweimal «patria o muerte» hinzu, den Schlachtruf Castros. Heimat oder Tod – die Comandantes mögen sterben, die Revolution geht einstweilen weiter.

nw.

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