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«Habana Blues» in der NZZ

#VERSCHIEDENES #ZIGARREN 23. Februar 2006

Das Filmplakat von «Habana Blues» habe ich vor knapp einem Monat via Handycam aufgeschnappt. Heute schreibt die NZZ unter «Jenseits der Salsa-Fröhlichkeit» über den Soundtrack, den Film und die kubanische Musikszene abseits der touristischen Trampelpfade. Der Einstieg:

Der spanische Regisseur Benito Zambrano zeigt im Film «Habana Blues» die kubanische Musikszene jenseits der Klischees. Die Habana Blues Band sowie sieben Formationen aus Havannas real existierender Rockszene vermitteln das Bild einer Musica Cubana, die nichts zu tun hat mit organisierter Salsa-Fröhlichkeit und Greisentum.
23. Februar 2006, Neue Zürcher Zeitung Jenseits der Salsa-Fröhlichkeit
Der kubanischen Underground im Soundtrack zum Film «Habana Blues»
Der spanische Regisseur Benito Zambrano zeigt im Film «Habana Blues» die kubanische Musikszene jenseits der Klischees. Die Habana Blues Band sowie sieben Formationen aus Havannas real existierender Rockszene vermitteln das Bild einer Musica Cubana, die nichts zu tun hat mit organisierter Salsa-Fröhlichkeit und Greisentum.

Rock war nie ein Wunschkind im Kuba Fidel Castros – auch wenn es Momente gab, da dies mit viel Aufwand vernebelt worden ist: etwa im Dezember 2000, als in Havanna ein John-Lennon-Denkmal enthüllt wurde, pünktlich zum zwanzigsten Todestag des Stars. Oder als einige Monate später der «Comandante» erstmals in seinem Leben ein Rockkonzert besuchte. Zwei Jahre später drehte sich der Wind, eine Anti-Drogen-Kampagne wurde zum Vorwand, «Rockeros» an die kurze Leine zu nehmen, Auftritte zu behindern, Musiker ins Ausland abzudrängen.
Nueva Trova und Nuevisima Trova

«Habana Blues», der neueste Spielfilm des Spaniers Benito Zambrano, spielt vor diesem Hintergrund. Mit dem Soundtrack landeten die Filmmacher in Spanien 2005 bereits einen Überraschungserfolg, und vor Monatsfrist erhielt die CD bei der Verleihung der Goyas, der spanischen Oscars, den Preis für die besten Filmmusiker. Das Album enthält zu zwei Dritteln Stücke der eigens für den Film formierten Habana Blues Band; darüber hinaus bietet sie mit sieben weiteren Stücken von ebenso vielen Bands einen Querschnitt durch Havannas musikalischen Underground. Die Musik reicht von Hip-Hop und Funk über Reggae bis zu Metal und Punk.

Die Wurzeln dieser ansprechenden Kompilation reichen zurück in die Nueva Trova, eine musikalische Bewegung der siebziger Jahre – es handelte sich zunächst um eine karibische Antwort auf angloamerikanische Singer/Songwriter. Leute wie Silvio Rodriguez, Sara González oder Pablo Milanés machten in Kuba Furore und erreichten auch in unseren Breiten eine kleine und treue Fangemeinde. Allmählich wandelten sich die Vertreter der Nueva Trova damals von Poeten mit Gitarre in kubanische Rocker.

Mit dem Überschwappen der Salsa-Welle in den neunziger Jahren, und mit dem weltweiten Boom von «Greisen-Bands» Ende des Jahrzehnts, geriet die Nueva Trova international in Vergessenheit, selbst innerhalb Kubas kochte die Bewegung nur noch auf kleiner Flamme. Noch zuvor aber, zu Beginn jener kubanischen Krise, die auf den Fall der Berliner Mauer zurückzuführen war, hatte sich der Begriff einer Nuevisima Trova etabliert. Musiker wie Polito Ibáñez, Carlos Varela oder Gerardo Alfonso waren die bedeutendsten Exponenten, die mit erstaunlich aufmüpfigen Texten und frischem Stilmix auch international von sich reden machten – vor allem im hispanischen Raum. Es heisst, dass Benito Zambrano, der Regisseur von «Habana Blues», der 1991 bis 1994 in Kuba seine Filmausbildung absolvierte, damals an einem Konzert von Gerardo Alfonso zur Story seines neuen Films inspiriert wurde.
Kubaner und Exil-Kubaner

Als Zambrano sich dann 2001 an die Konkretisierung seines Projektes machen wollte und nach Kuba reiste, musste er zwar feststellen, dass sich die jüngeren Musiker bereits wieder von der Nuevisima Trova wegbewegt hatten. Crossover-Rock, Funk, Hip-Hop und Post-Punk waren nun die Stile, in denen sich Kubas jüngste Rebellen vorzugsweise ausdrückten. Trotzdem hat dann die rockige Nuevisima Trova die 16 Stücke des jetzigen Soundtracks geprägt.

Es ergab sich dabei ein geographisches Spannungsfeld: Die Musiker der ad hoc gebildeten Habana Blues Band nämlich befinden sich mehrheitlich im spanischen Exil; die Mitglieder der real existierenden Formationen dagegen leben alle in Kuba. Die Habana Blues Band formierte sich insbesondere aus Musikern von Habana Abierta. Diese in wechselnder Besetzung auftretende Formation um die Sänger und Gitarristen Boris Larramendi und Kelvis Ochoa sowie um den Schlagzeuger Enrique Ferrer wurde vor zehn Jahren im spanischen Exil gegründet, nachdem einige ihrer Mitglieder zuvor in Kuba unter dem Bandnamen Habana Oculta erste Erfolge gefeiert hatten. Habana Abierta erreicht auf den bisher 3 CD eine tanzbare Verbindung von Funk und Trova, Bolero und Rap, Rock und Salsa. «Das ist die Stimme einer Generation, die in der Revolution gross geworden ist und die ins Ausland ging, um mehr Ausdrucksmöglichkeiten zu finden», heisst es im Booklet zu «Boomeran», der jüngsten CD von Habana Abierta.

Nicht ins Ausland gegangen ist dagegen der Multiinstrumentalist, Bandleader und Sänger Equis Alfonso, durch dessen Prestige und Einfluss das ganze Projekt «Habana Blues» überhaupt erst möglich geworden ist. Der 34-jährige Equis Alfonso ist der Sohn von Carlos Alfonso, dem Gründervater von Kubas international bekanntester Rockband, Sintesis. Diese seit 1976 existierende Formation begann einst mit einem schwer verdaulichen Mix aus Symphonic Rock und traditionellen Yoruba-Gesängen und -Rhythmen, um sich Ende der achtziger Jahre in erdigere Rockgebiete, aber auch in funkige und jazzige Gefilde zu begeben. Equis wuchs als Kleinkind schon in die Band hinein, absolvierte Kubas Elite-Musikschulen und wurde 1990 Mitglied von Sintesis. Ab 1992 verfolgte er parallel diverse eigene Projekte und gründete die wegweisende Rockband Havana. Seit 2000 sein erstes Album unter eigenem Namen erschienen ist, wird er nun als Star gefeiert. So ist es nicht verwunderlich, dass Equis Alfonso im Film dem Protagonisten Ruy (Alberto Joel García) – selbst kein Musiker – seine (Sing-)Stimme leiht.
Buena Vista Social Club der Gegenwart

Nicht wenige der 16 Stücke des Soundtracks kokettieren mit Retro-Chic, was nicht verwundert bei einer Musikkultur, deren Bild bei uns seit Ende der neunziger Jahre von Oldtimern, tanzenden Greisen und verfallenden Kolonialbauten geprägt wurde. So erinnert etwa die Habana Blues Band in «Arenas de soledad», dem traurigen Song am Filmende, mit Elmer Ferrers schmachtender E-Gitarre an die Eagles, und die Gruppe Free Hole Negro gemahnt in ihrem jazz-funkigen «Superfinos Negros» an Earth, Wind & Fire, während die Bands Porno para Ricardo und Escape an die Sex Pistols erinnern.

Textlich weisen sowohl die Habana Blues Band als auch die Punks Stellen auf, die klar machen, warum diese Compilation in Kuba nur als Raubkopie zu haben ist. In «Habaneando» der Habana Blues Band heisst es: «Das System bedrängt uns und weicht keinen Schritt zurück» – solches lässt hoffen, dass im spanischen Exil (wo das Soundtrack-Album produziert wurde) etwas geschaffen worden ist, das über das blosse «So etwas gibt es also auch in Kuba» hinausgeht: vielleicht so etwas wie ein Buena Vista Social Club der Gegenwart.

Geri Krebs

Soundtrack Habana Blues (Warner). – Habana Abierta: Boomeran (BMG España / Calle 54 Records).

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